Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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NZZaS Magazin 10/16

zur Abdankung des Tenno Akihito



Zwischen Himmel und Erde



Kinder sind keine bescheidenen Menschen. Kinder wollen immer mehr: mehr Pudding, mehr Aufmerksamkeit, mehr Macht. Wie muss es sich anfühlen, nichts davon zu wollen, weil man alles davon schon immer hatte? Wie muss es sich anfühlen, sich nach Alltag, Normalität und Belanglosigkeit zu sehnen? Einmal fragte eine Erzieherin den jungen Prinzen Akihito, ob er lieber Kronprinz oder ein ganz normaler Knabe wäre. Er antwortete ehrlich: «Ich weiss nicht, ich bin nie ein einfacher Knabe gewesen.» In diesem Satz steckt die ganze Tragikomik seines Lebens: Wie muss es sich anfühlen, ein Mensch sein zu wollen, aber als Gott zu gelten?



Japans Kaiser sind keine Menschen. Laut Mythos sind sie Götter. Akihito ist der erste Kaiser, der durch seine Krönung offiziell keinen Gottstatus erreichte. Er ist auch der erste Tenno, der das Menschsein für sich beansprucht. Bis heute dreht er das Rad der Geschichte sanft, aber systematisch von Mythos auf Moderne und reizt die Grenzen der höfischen Norm bis aufs Аusserste aus. Vor kurzem deutete er an, noch vor seinem Tod abzudanken – als erster japanischer Kaiser seit mehr als sagenhaften 2650 Jahren.

Auch Akihitos aufgeklärter Geist fing klein an. Am 23. Dezember 1933 konnte Japans Kaiserpaar Hirohito und Kojun nach vier MКdchen und jahrelanger Torschlusspanik endlich einen Thronerben vorweisen. Drei Jahre nach der Geburt war die Kindheit von Prinz Tsugu Akihito schon vorbei: runter vom Schaukelpferd, hinein in den eigenen Hofstaat. Getrennt von der Familie bereiteten ihn ein Grosskammerherr, vier Kammerdiener, drei Ärzte, elf Leibwachen und eine HaushКlterkolonne auf das Amt vor, das er in gut 50 Jahren antreten würde. Mit 12 Jahren stand Prinz Akihito neben der weinenden Mutter und dem verstЪrten Vater im Kaiserpalast – vor dem Fenster wehten die «Stars and Stripes» der Besatzer, hinter ihnen lag das Land in Trümmern. Auf Japans Kriegsniederlage folgte die Quittung: Den Yankees war dieser Shintō-Oberpriester und Politikpfuscher alias Gottkaiser höchst suspekt. General Douglas MacArthur wollte Shintoismus plus Scheingott aus Japans Seele reissen – nur war er so klug wie bibelfest: Das geknickte Volk sollte nicht völlig zerbrechen. Der Tenno durfte zwar bleiben, aber ein Gott durfte er nicht mehr sein. [...]



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Pauline Luisa Krätzig
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