Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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Weltwoche Magazin 04/15



Gute Saiten, schlechte Saiten



Es gibt heute mehr Violinen von Antonio Giacomo Stradivari, als der Grossmeister des Geigenbaus aus Cremona zu Lebzeiten hergestellt hat. Noch besser als die Geschichten, die über die vielleicht grossartigsten Musikinstrumente aller Zeiten erzКhlt werden, ist der Klang, den die Körper der kostbaren Fiedeln verbreiten.



Sieben Jahre und fünf Monate Haft für den Raub eines gelochten Holzkastens – so teuer kam Salah Salahadyn seine Obsession für eine Geige unlКngst zu stehen. Der (allein) seiner Ansicht nach «grossartige Kunstdieb» – seines Zeichens Drogendealer – gestandt Anfang 2014 den Konzertmeister des Milwaukee Symphony Orchestra mit einem Elektroschocker kaltgestellt und dessen Geige geklaut zu haben. Nicht irgendeine Geige, sondern die sechs Millionen Dollar teure und über 300 Jahre alte «Lipinski»Stradivari.
Die «Lipinski» ist eine von heute rund 600 noch existenten Stradivari-Violinen – eine vage Angabe, denn ganz genau weiss es niemand. Insider nennen sie «Strads». Ihr Schöpfer Antonio Stradivari war der wohl bedeutendste Geigenbauer aller Zeiten. Insider nennen ihn «Tony Strad». Bis ins hohe Alter hat der Maestro Saiteninstrumente gefertigt – in summa über tausend; die Glanzstücke darunter in seiner periodo d’oro zwischen 1700 und 1725: Bratschen, Celli, einige Gitarren, eine Harfe –und seine legendКren StradivariGeigen. Grosse Musiker, Orchester, Stiftungen und Banken nennen heute die illustren Instrumente ihr Eigen. Was Rang hat, hat auch Namen. Fast alle der Meisterviolinen sind erlesen getauft: zu Ehren bedeutender Besitzer («King George»), als Reminiszenz an Musikvirtuosen («The Brodsky») oder in der Absicht purer Poesie («The Lark»). Sie alle haben eine jahrhundertelange, manchmal sehr bewegte Geschichte. Die Chronik der «King George» liest sich in einem atemberaubenden Satz etwa so: Erzeugt 1710, wanderte die Geige von ihrem Namensgeber, dem britischen KЪnig Georg I., in die Obhut seines Urenkels Georg III., der sie bis 1815 spielte und dann einem schottischen Offizier schenkte, der noch im selben Jahr in der Schlacht bei Waterloo fiel, während die Geige in der Satteltasch seines Pferdes überlebte und, nach ihrer Wiederentdeckung, endlich und über Umwege über Berlin und Tokio in die Schweiz gelangte, wo nun ein Mitglied des Stradivari-Quartetts aus Zürich mit ihr musiziert [...]

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Pauline Luisa Krätzig
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