Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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NZZ am Sonntag / Rebellinnen / 7er-Serie




01 Amelia Earhart

«Ängste sind Papiertiger»

Am 1. Juni 1928 starteten die US-Piloten Wilmer Bill Stultz und Louise E. Slim Gordon mit einer Fokker F7 namens Friendship von Trepassey, Neufundland, und landeten knapp 21 Stunden später in Burry Port, Wales. Nonstop über den atlantischen Ozean. Eine beachtliche Strecke. Die Konfettiparade entlang des Canyon of Heroes in Manhattan, die persönlichen Glückwünsche von Präsident Calvin Coolidge im Weissen Haus und die zwei Titelstorys der «New York Times» galten aber nicht den beiden Männern. Schon andere vor ihnen waren diese Strecke geflogen – zuletzt Charles E. Lindbergh, im Mai 1927, allein. Die grosse Aufmerksamkeit galt an diesem Tag der schmalen Person, die in einem geliehenen pelzgefütterten Overall im hinteren Teil der Maschine gesessen hatte. Amelia Earhart.




02 Rosa Parks

«Ich wollte einfach nach Hause»

Als der zehnjährigen Rosa Louise McCauley ein weisser Bengel auf der Strasse Prügel androhte, hob das Mädchen einen Stein auf und jagte den Knaben davon. Grossmutter Rose war entsetzt, als sie davon erfuhr. Es sei gefährlich, sich Weissen zu widersetzen, sagte sie. Rosa fand das nicht. Sie fand, dass körperliche Gewalt immer vergolten gehörte. «Meine Großmuter meinte, ich zu empfindlich und wenn ich nicht vorsichtiger sei, werde man mich wohl noch vor meinem zwanzigsten Lebensjahr lynchen», erzählt Rosa Parks in ihrer Biografie “My Story”. 32 Jahre nach der Episode mit dem Bengel widersetzte sich Rosa Parks einem Weissen, der sie von ihrem Sitzplatz im Bus vertreiben wollte. Ihr Mut veränderte die Weltgeschichte.




03 Rosemarie Nitribitt

«Fressen und saufen wollen sie alle»

In den fünfziger Jahren, als Westdeutschlands Wirtschaft wieder Fahrt aufnahm, symbolisierte vor allem das Auto den Wiederaufstieg des Landes. Der Mercedes -Stern war die Krönung dieses Symbols. Schnittige Karosserien der Oberklasse prägten das Marken - und Strassenbild. 1952 entwickelte Mercedes-Benz den SL – sportliche Leichtigkeit, blank poliert. Inoffiziell stand der SL für Luxus und Noblesse. Im Februar 1954 präsentierte der Konzern auf der Auto Show in New York seinen eleganten Tourenwagen 190 SL. Ringo Starr, Alfred Hitchcock und Frank Sinatra fuhren ihn, aber vor allem bei Frauen war er wegen seiner grazilen Details beliebt. Die berühmteste weibliche Fahrerin des 190 SL war aber nicht Grace Kelly, Gina Lollobrigida oder Zsa Zsa Gabor, sondern eine Frankfurter Hure. Einen «Nitribitt» nannte der Volksmund das 190er Cabrio.




04 Elisabeth Kübler-Ross

«Esst mehr Schweizer Schokolade»



Fürchtet euch nicht, denn Sterben ist schön!», vernahmen zweitausend Menchen am 9. Juni 1983 im Züricher Kongresshaus die frohe Kunde vom fröhlichen Tod und dem noch fröhlicheren Leben danach. «Elisabeth Kübler- Ross kommt!», hatte die «Züri-Woche» die «kleine, gütige» schweizerisch-amerikanische Koryphäe der Sterbeforschung zwei Wochen zuvor ganz aufgeregt angekündigt. Mehr als eine Stippvisite würde die Schweiz nicht sein. Seit Jahren schon flog EKR in der weltgeschichte umher – Kalifornian, Stoclholm, Berlin, Sydney – sammelte erst Meilen, an die 400 000 Kilometer im Jahr, dann Menschen um sich, bis zu 150 000 in einer einzigen Woche. Und eigentlich ist es ja auch tröstlich zu hören: «Der Tod ist nicht das Ende der Dinge, sondern ein friedliches Hinübergehen in eine andere Welt.» Wo viele Menschen doch so eine Angst vor dem Tod haben.




05 Billie Jean King

«Frauen sollten mutig sein, nicht perfekt»



Es wr der 20. September 1973, und Billie Jean King war schlecht. Das lag aber nicht an den Nugatriegeln, die sie in der Kabine in sich reinstopfte. Normalerweise rebellierte ihr Magen nie vor einem Spiel. King war Profi. Aber dieses Spiel war kein gewöhnliches Tennisspiel. Es ging nicht nur um die 100 000-Dollar-Siegprämie. Es ging nicht einmal nur um Sport. Es ging um Gerechtigkeit. Im Kampf darum begegneten sich unter der gewaltigen Kuppel des Stadions in Houston, Texas, zwei Champions: die 29-jährige aktuelle Wimbledon-Siegerin King und der 26 Jahre ältere Ex-Wimbledon-Sieger Robert Bobby Riggs.


 

06 Clärenore Stinnes

«Fräulein Stinnes muss aus Stahl sein»

Noch lange erinnerte sich Clärenore Stinnes an die «enttäuschendste Weihnacht» ihres Lebens. Clara Eleonore, geboren am 21. Januar 1901 in Mülheim an der Ruhr, genannt Clärenore, war das dritte von sieben Geschwistern. Ihre Mutter hatte Mühe, sie für «frauliche Arbeiten» zu begeistern. Statt Strümpfe zu stopfen, lauschte Clärenore lieber im Pferdestall den Soldatengeschichten des Kutschers oder las «Indianer- und Abenteuergeschichten». An besagtem Weihnachtstag bekamen die drei ältesten Geschwister Edmund, Hugo jun. und Clärenore Indianerkostüme geschenkt – «die Jungen Häuptlingsschmuck, ich die Kleidung einer Squaw», erzählte Stinnes 1980 einer Journalistin. «Mit Tränen der Entrüstung habe ich den Raum verlassen.»




07 Peggy Guggenheim

«Angst lag nie in meiner Natur»



Alvio Gavagnin wollte als Kind zur See, wurde dann aber nur Fahrkartenverkäufer auf den Vaporetti, Venedigs öffentliche Linienschiffen. 20 Jahre lang fuhr er auf der Linie 1 den Canal Grande entlang. Die Linie passiert den Palazzo Venier dei Leoni. Die Patrizierfamilie Venier hatte ihn im 18. Jahrhundert erbauen lassen. Man erzählte, sie hätten einen Löwen im Palastgarten gehalten.
In den siebziger Jahren war Alvio in seinen Zwanzigern. In dem Palast wohnte längst jemand anders. Eine Ausländerin, sehr eigen. Alvio sah sie oft auf der Terrasse. Manchmal stand sie neben einer lebensgrossen Skulptur von einem nackten Reiter und tätschelte dessen erigierten Penis. Alvio fand die schrullige Ausländerin ein wenig ordinär. Geizig fand er sie auch. Wenn sie auf die andere Kanalseite wollte, musste er ihr manchmal 50 Lire für den Fahrschein leihen. Er tat es aber gern. Er mochte sie.




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Pauline Luisa Krätzig
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