Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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NZZaS Magazin / Es wird knapp 03/22



Vor 60 Jahren schnippelte Mary Quant an alten Röcken und verkaufte Frauen Freiheit zu kleinen Preisen. Seit Kurzem ist der Minirock wieder in Mode. Passt das heute noch?

Ihren ersten politischen Skandal löste die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit 14 Jahren aus. Die fleißige Angela Dorothea, Mädchenname Kasner, hatte alle russischen Sprachwettbewerbe der DDR gewonnen und durfte 1969 mit dem Freundschaftszug in die Sowjetunion reisen. Dort stand „Kasi“, wie Mitschüler und Freundinnen sie nannten, dann matt lächelnd vor einem Mahnmal für gefallene Soldaten – im Minirock. Die Gastgeber waren empört. Und jetzt? UdSSR und DDR sind passé; die Frau, die seit 16 Jahren in Deutschland vorwiegend die Hosen anhatte, ist passé; Frauen mahnen und empören inzwischen oben ohne – der Minirock aber wird gerade neu aufgelegt. Sind wir aus diesem unkleidsamen Fummel und seiner Statementfunktion nicht längst herausgewachsen?  

Das knappe Stück Stoff, das Ende der 60er-Jahre aus Großbritannien zusammen mit Beatmusik, Pilzköpfen und anderen Schamlosigkeiten durch den Eisernen Vorhang schlüpfte, erregte weltweit die Gemüter. Mode spiegelt ja immer auch den Zeitgeist, grassierende Stimmungen, sich anbahnende Umschwünge, kann hochpolitisch werden. Und die steife britische Klassen- und Kleiderordnung eignete sich schon immer für gesellschaftliche und modische Revolutionen. Der Minirock stand für die weibliche Emanzipation, sexuelle und geistige Freiheit. Zwar waren die Röcke in Kunst und Kultur schon in den Zwanzigern übers Knie gerutscht, und viele Mädchen schnippelten zuhause selbst am Rocksaum, bevor irgendein Designer es tat. Aber erst in den Swinging Sixties wurde der Mini Mainstream und Politikum. Als seine Schöpferin wird die britische Modedesignerin Mary Quant am häufigsten genannt, vor diversen männlichen Aspiranten. Und mal ehrlich: Ein Mann, der Frauen die Röcke bis knapp unter die Pofalte schneidert, stünde heute sicher nicht für Feminismus [...]
 


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Pauline Luisa Krätzig
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