NZZ Folio 11/21

Spiel ohne Ende



Die Nazis verboten es, Atlantic City wollte seinetwegen Strassen umbenennen, in Israel löste es Proteste aus: Monopoly prägt
unsere Vorstellung von Grundbesitz und Reichtum. Dabei war
das Brettspiel eigentlich als Kapitalismuskritik geplant.


Im Grunde beginnt jede Partie Monopoly wie eine Erstbesiedlung: Der Würfel, eine Art Schicksal, entscheidet, wo man landet. Es folgt eine Kolonisation light, ohne lästige Indigene oder sonstige Bauernopfer, die man erst beseitigen muss. Das anfangs einzige Gut – Grund – verkauft eine überraschend unbestechliche Zentralbank zu fixen Preisen an Erstankömmlinge. Nun zeigt sich, wer zum Glück auch Spekulationsgeschick hat. Es gibt zwei Strategien: systematisch ein Portfolio aufbauen wie im konventionellen Kapitalismus oder alles auf bestimmte Karten setzen wie im Casino-Kapitalismus. Die Akkumulation von Boden geht noch recht gesittet voran, dann mischen Zug für Zug niedere Instinkte mit. Der Mensch wird dem Menschen ein Immobilienhai. Ehe man sich’s versieht, muss die Mehrzahl der Spieler nur noch Mieten, Schulden, Steuern abdrücken und sich rundenlang demütigen lassen, obwohl ihr Ruin längst feststeht.

Seit bald 90 Jahren, in mittlerweile 114 Ländern und 47 Sprachen lernen Menschen, dass man spielend reich wird, indem man Grundeigentum anhäuft und ein Immobilienimperium darauf errichtet. Das Prinzip wanderte in einer Schachtel von den Truhen der Grosseltern in die Schränke der Enkel und prägte über Generationen hinweg unsere Wahrnehmung von Kapital, Vermögen und Status. Monopoly ist eines der erfolgreichsten Brettspiele der Welt. So beliebt, dass die Nasa zwei Sonderanfertigung mit nichtentflammbarem Papier für sein Spaceshuttle Atlantis bestellte. So bekannt, dass es in zwei Simpsons-Folgen eine Gastrolle spielte. So einflussreich, dass es eine der grössten Schweizer Tageszeitungen kränkte [...] 
 


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Pauline Luisa Krätzig
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