Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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meinTirol Magazin 02/17

Schonzeit



Ruhe bitte!



[...] Ich habe das Ausruhen verlernt! Also nehme ich Nachhilfe, wie damals in der 5. Klasse in Mathe. Textaufgabe: „Sie verbringen je fünf Tage in einem Kloster, auf einem Bauernhof und in einem Kurhotel – wie viel Prozent Erholung stellt sich nach jedem Aufenthalt ein? Bitte rechnen Sie mit dem Besten.“ Auf Nimmerwiedersehen Schlaflosigkeit! Fahrt zur Hölle, ihr miesen Zwangsgedanken! Und Stress lass nach! Lass nach, verdammt!

Das Klösterle liegt auf einer knapp tausend Meter hohen Felskuppe. Beste Aussicht auf Ruhe. Hoffentlich schnarcht niemand. Schwester Irmgard öffnet mir die Tür. Sie reicht mir bis zum Brustbein und strahlt mich von unten durch ihre Brille an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nachts bösartige Laute von sich gibt. Die kleine Schwester lädt mich zum Abendessen ein und lässt mich mein Zimmer wählen. Auf der einen Tür steht „Freundschaft“. Auf der Tür daneben steht „Ruhe“. Ich wünsche mir Ruhe. Das Zimmer ist schlicht und ergreifend, nirgendwo hängt Jesus still leidend am Kreuz. Das Bad ist weiß gekachelt und es gibt Internet. Zwei Minuten später bin ich online. „Du sollst hier abschalten“, sagt der Engel. „Wann warst du denn zum letzten Mal in der Kirche?“, fragt der Teufel.

Die sieben Nonnen sitzen essbereit am Tisch. Es gibt Wurstsalat und Apfelsaft. Novizin Helen isst Cornflakes mit Kakaopulver. Oberin Barbara weht herein und ergänzt Chicken-Nuggets und Kuchen – Reste vom Hochzeitsfest im Gasthof hier oben. Die Barmherzigen Schwestern schmeiІen das Anwesen um die Kronburg mit Wallfahrtskirche, Kloster und Gasthof seit 2005 alleine. Es gibt viel zu tun, manchmal zu viel, deswegen konnte mich auch niemand am Bahnhof abholen, aber es ist immer genug Zeit, um gemeinsam im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu essen. „Bei der Hochzeit haben die Captain Morgan gesoffen, so einen Fusel“, erzählt Oberin Barbara. Dann lästern die Schwestern ein bisschen über den nikotinsüchtigen Landarzt und laden sic Topfentorte auf. Ich schweige und genieße. Zu Hause säße ich jetzt alleine arbeitend vor dem Laptop. Lange her, dass ich mit meinen drei Geschwistern am Kindertisch Leberwurstbrote gegessen habe. Ich vermisse das. [...]



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Pauline Luisa Krätzig
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