Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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Der Brunnen Magazin 12/15

Redaktion „Papier erleben“



Intro

Meine Wertpapiere



„Papier ist krass überholt“, findet der Modernist. Online Medien beschreiben die Zukunft, daran bestehe kein Zweifel, sagt er. „Wer nutzt denn noch Papier? Doch nur Fortschrittverweigerer, Nostalgiker, Ignoranten, alt Gebliebene und Alte. Wir Westweltler, um uns den Arsch damit abzuwischen.“ Während der Modernist sich fast schon ein bisschen aufregt, wühlt er hektisch in seiner Brieftasche. Ah! Da ist er. Ein Zettel zwischen Geldscheinen, Kassenbons, Streifenkarte, Bonusheftchen, Parkticket und zwei Eintrittskarten. Sein Computer-Login- Passwort steht daauf. Nur für den Notfall. Jetzt möchte er bitte weiter seinen Blog updaten. Dann tippt er die Zeichen vom Papier in die Tastatur.

Unser Verhältnis zu Papier wurde paradox: Wir empfinden es als altmodisch, sind überzeugt, es weder zu brauchen, noch zu verwenden. Und doch, ob bewusst oder beiläufig, greifen wir immer wieder danach.



Was für ein gefälliges Medium dieses Papier ist. Immer liegt es geduldig und erwartungsvoll vor uns. Nie stürzt es ab, höchstens segelt es vom Tisch herab, um am Boden zu bleiben. Selbst am einsamsten Ort nimmt es sich unserer Freude, Angst und Sorge an. Zu Heften und Büchern gebunden verwahrt und verbirgt es unsere Gedanken und Gefühle. Papier ist schweigsam. Und es vergisst, wenn wir es wünschen.

Papier verleiht uns die Macht eines Schöpfers. Wir können ihm Leben einzuhauchen, darauf malen, zeichnen, schmieren und kritzeln, mit Schere und Kleber, Kugelschreiber und Wachsmalstift, Worten und Bildern Welten erschaffen. Und wir können es zerstören. Es mit Kaffee, Tinte und Tränen bekleckern. Es in Fetzen oder seitenweise aus Blöcken reißen. Es zu Asche werden lassen. Papier. Unser stummer Diener. Keine Welle, Falte, Flamme trägt es uns nach.



Manches Papier bewahren wir. Wir lassen es in Schubladen und auf Stapel sinken, sortieren es ein und heften es ab, rahmen es, gewinnen es lieb. Manches Papier wird uns so wertvoll, dass es schmerzt, wenn es verblasst, verflisst, verloren geht. Als schwünde damit ein Teil unserer Seele. [...]

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Pauline Luisa Krätzig
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