Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin

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Alles ist Sternenstaub 10/16


Mittwochabend, 18 Uhr. Ganz Deutschland will nur nach Hause und Feierabend. Ganz Deutschland? Nein! Eine kleine Gesellschaft hört sich etwas über Konvektionsströme und Mykorrhiza an.

Beatrice Voigt baut Sony-Notebook und Bose-Boxen nicht auf. Beatrice Voigt lässt aufbauen. Sie steht hinter Daniel, einem Mitarbeiter im „Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke“, und beobachtet, wie er ihre Power-Point-Präsentation auf die Leinwand bringt. Er bringt es. „Voilà!“ ruft Voigt enthusiastisch in die Runde. 24 ergraute Köpfe regen sich nicht.

Es gibt Vorträge über „Antike und moderne Ringkunst im Vergleich“ und Führungen zur „Selbstdarstellung des starken Geschlechts“. Es gibt aber auch Vorträge über „Boden zwischen Mythos und Wirklichkeit“. Wen interessiert das?

Zwei Dutzend Menschen sind heute gekommen, um mit Voigt einen „choreographierten Wahrnehmungsspaziergang“ zu machen und den Boden als „dünnhäutiges Lebewesen“ kennenzulernen. Laut Webseite ist Voigt Mitunterzeichnerin des Tutzinger Manifests zur Stärkung der kulturell-ästhetischen Dimension Nachhaltiger Entwicklung, und Mitglied des Deutschen Werkbunds in Bayern. Sie kuratiert für Klimaschutz, könnte auf den ersten Blick aber auch die reiche und schöne Schwester von Harry Potters Wahrsagen-Lehrerin sein. Sie trägt goldenen Lidschatten, goldene Teller an Ohren und Hals, eine große melierte Brille und die Frisur von Oprah Winfrey. Voigt mustert ihre Audienz voller Zuneigung. Dann gibt sie eine  massivsilberne Schale durch das Sitz-U. Eine Art Klingelbeutel. Nur, Scheine klingeln nicht. Die Schale wandert von Kaschmir-Pullover zu Kaschmir-Pullunder. Ein Herr beschreitet den Raum, Seidenschal zu Woll-Sakko, nimmt auf dem einzigen Stuhl Platz, der knarzt, nimmt die Blicke wahr, stützt sein Kinn auf den Zeigefinger, nimmt Haltung an. Er sieht nicht nur aus wie ein Graf oder Gutsherr, er besitzt auch viel Land, sagt er. So ein Zufall, seine Nachbarin aus Rom ist auch hier. Sie ähnelt Brigitte Bardot, nur fehlen ihr dazu 50 Kilo und im zerzausten weißen Haar klemmt keine Blume, sondern eine Armani-Brille. „Ich bin wegen Bea hier“, sagt sie. „Ich bin wegen Boden hier“, sagt er. „Welchen Booten?“. Dann spielen sie Besitz-Quartett: „Ich habe schon zwölf Enkel“, sagt die Dame. „Ich drei, aber zwei kommen gerade. Ich hole auf“, kontert der Graf. Die Dame besitzt 40 Olivenbäume. Stich.

„Wo ist mein Daniel?“, flötet Voigt. Daniel löst sich aus dem Türrahmen, löscht das Licht. Von sechzehn Deckenleuchten scheint eine auf Voigt. Der Vortrag beginnt, kommt vom Boden auf Menschen, über Menschen auf Heimat, von Heimat auf Schleimpilze. Ein vierminütiger Film zeigt, wie sich eine gelbe Masse im Zeitraffer über Holzpilze ausbreitet. „Wir bleiben hier in einer Metaebene“, sagt Voigt. Nicken in der Runde. „Alles, was hier ist, kommt aus dem All. Alles ist Sternenstaub.“ Dann liest sie ein Gedicht ab: „Wie schön bist du, Erde, und wie erhaben!“ Es folgt ein Film über Wasser, das sich in einer Wurzel ausdehnt. „Dem Boden schenken wir viel zu wenig Beachtung, und denken nur: Das macht der Landschaftsarchitekt schon.“ Nicken. Bekanntes Problem. Es folgt ein „zauberhafter Filmausschnitt“ über eine Milbe. Voigt will Empathie für die „hübsche Tänzerin“ wecken, die aus Scheiße Humus macht. Irgendetwas im Bild bewegt sich. „Es passiert ja eigentlich nichts. Aber ist das nicht toll?“, sagt Voigt. Ein Stuhl knarzt.

Der Graf erhebt sich und schreitet zum Catering: drei Flaschen Adelholzener und Weingläser auf einem Holztisch. Das Prickelwasser ist neben BMW, Microsoft und der Stadtsparkasse Bad Pyrmont einer von zwölf Sponsoren, die Voigt für ihre Kunst- und Kulturprojekte verzaubern konnte. „Freuen Sie sich an den schönen Bildern!“, sagt sie bei einer Folie mit Mikroskop-Aufnahmen von Pilzen oder Wollmäusen. Tipp, Tipp, Tipp. „Ich glaube, ich muss mich ein bisschen beeilen“, sagt Voigt plötzlich mitten im Vorlesen einer Folie. Der Graf nickt in seinen Finger. Dann wird es interessant. Das Bild von einem Trüffel erscheint. Überschrift: Trüffel. „Weiß jemand, was das ist?!“, fragt Voigt, und antwortet selbst: „Ein Trüffel, ein Trüffel, ein leckerer Trüffel!“ Nicken. „Ich glaube“, zieht Voigt als Fazit, „Der Schlüssel zu allem ist die Liebe!“ Dann stöckelt sie in das U zur Diskussionsrunde und erzählt von ihrem Buch „BodenLeben“ für 48 Euro. Sie hat es vor drei Jahren selbst verlegt und man kann es heute kaufen. Plötzlich fällt ihr ein, dass sie die „Dessert-Präsentation“ ihrer Freundin Simone aus Hannover – „Genuine Burgundertrüffel im Original Erdbodenbett auf handgewebtem Damast, serviert auf Silbertablett“ – noch zeigen wollte. Ein Silberteller mit Trüffeln geht durch die aufgeregte Runde. Rücken strecken sich. Augen entfalten sich. Kinne schälen sich aus Händen. Hände greifen nach Trüffeln. Das Bild eines Fellhaufens auf Erde mit der Bildunterschrift: „Forschungsassistentin Fräulein Lori bei Grabung“ erheitert die Gäste. „Es waren interessante Aspekte dabei. Sie redet halt einfach schlecht“, sagt der Graf – er philosophiert es. „Man könnte noch eine Sequenz aus der RTL-Sendung Adam sucht Eva einbauen, da spielen Boden und Klima ja auch eine Rolle, sonst könnten die nicht so rumlaufen.“ Er lacht zweimal. Es ist fünf vor acht. Den nächsten Vortrag hört er sich noch an.




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