Hochgegessen
Mein kulinarischer Aufstieg von 3-Sterne-Gefrierfach auf Sterneniveau
Ich habe mir als Jugendliche krass oft die Fresse verbrannt. Dann schmerzhechelnd die verbrühte Haut mit der Zunge vom Gaumen gerollt und die offene Wunde wieder gierig in einem ofenheissen Baguette «Tomate & Fromage» versenkt. Oder in dampfenden Country Potatoes, oder in einer brodelnden Lasagne aus der Mikrowelle oder einem Camembert mit Teflon-Kruste aus der Pfanne. Alles aus der Tiefkühltruhe. Wie hatte es soweit kommen können? Nachdem ich meine Geburt extra mühsam 86 Stunden herausgezögert hatte, so lange, bis am 21. April die Sonne aus dem Widder in das Sternzeichen Stier wechselt. Stiere wie ich sind Genussmenschen, Gourmands. Fine Dining war meine Bestimmung! Davon war ich 16 Jahre später Galaxien entfernt.
Entweder blüht der Geschmackssinn in der Kindheit voll auf, oder halt nicht. Essverhalten ist ja erlernt. Ich war als Kind mit meinen drei Geschwistern oft bei meinen Grosseltern. Dort galt zwar: Probieren ist Pflicht, erst dann darf man «Iiih!» finden – nur kochte meine Omama nicht gerne. Sie hasste es sogar ein bisschen, war aber nun mal die Frau im Haus. Wir Enkel bekamen deshalb vor allem Kindergeschmacksgaranten vom Backblech, mittlere Schiene: Fischstäbchen, Kartoffelpuffer, Pommes. Zuhause beschloss meine kochbegabte, aber -faule Mutter eines Tages, dass wir als Schulkinder alt genug seien, uns selbst zu füttern. [SP1] [plk2] Als Teenager mit 20 Euro Taschengeld habe ich mich natürlich nicht für vielseitige Rezepte, lange Einkäufe und teure Zutaten entschieden. Die Nahrungsaufnahme musste schnell gehen, wenig kosten und sollte meine gequälte pubertierende Seele mit Dopamin sedieren. Da meine Generation Y die erste war, der die Lebensmittelindustrie vom Abstillen an in grossem Stil aromatisiertes, geschmacksverstärktes Convenience-Food vorgekaut hat, bestand mein Speiseplan also aus Pizza Margherita im 3er-Pack aus dem Gefrierschrank, dazu gutscheinbogenweise McDonalds-Spar-Menüs und Schokolade, max. 45 % Kakao. Runtergespült habe ich meine Pubertät mit Eistee im 2-Liter-Tetrapak, Discounter-Cola, Malibu-Maracuja und Wodka-O. Jeder Schluck, jeder Bissen galt dem Wachstum – raus aus der hormonellen Höllenfahrt. Und obwohl der Körper aus Junk-Food wenig Nützliches bauen kann, wurde ich trotzdem gross. Nur voll entfalten konnte ich mich im Sinne meines selbstinduzierten Schicksals nicht. Wie auch. Meine Zunge war ziemlich früh so ziemlich jeden künstlichen Zusatzstoff gewohnt. Zur Volljährigkeit waren die Knospen in meinem Mundraum verkokelt und verkümmert. Ich fing quasi bei null an. [...]
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Pauline Luisa Krätzig
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