Pauline Luisa Krätzig
Freie Journalistin
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Sperrgepäck
Zum Wandern packen wir Brotzeit und Sonnenmilch in den Rucksack. Für die Trekkingtour kommen Stöcke und Kocher dazu. Beim Animal Trekking zieht man noch ein Tier mit sich herum. Haben wir das wirklich nötig?
Der schottische „Schatzinsel“-Schriftsteller Robert Louis Stevenson war 28 Jahre alt und litt unter höllischem Liebeskummer, als er im Herbst 1878 die Covennen durchwanderte. Wie so viele suchte er Ablenkung und Ruhe in der Natur. Seinen seelischen Ballast musste er alleine tragen, für das übrige Gepäck mietete Stevenson sich eine Eselin. In seinem Tagebuch „Travels with a Donkey in the Covennes” beschreibt er die zwölf Tage dauernde Reise – 140 Jahre später ist der „Stevensonweg GR70“ einer der beliebtesten Weitwanderwege Frankreichs. Und immer mehr Wanderer ziehen auf seinen Spuren auch einen Esel oder eine Eselin mit sich herum.
Der erste Gedanke: „Da nehmen es aber ein paar sehr genau mit der Authentizität“, ist nachvollziehbar, aber falsch. Der Trend nennt sich Animal Trekking. Der Esel kann auch ein Lama oder Alpaka sein. Mit diesen „exotischen Tieren“, die zu hundert Prozent von der eher gemütlichen, komplizierten Sorte sind, geht man auf Tour – zum Beispiel im Burgund, Baskenland oder Böhmerwald, in den Westkarpaten oder der Uckermark, an der Algarve oder der Eifel. 44,90 Euro kostet so ein Trekking-Ausflug mit Esel in Bayern bei Jochen Schweizer, inklusive „intensivem Kontakt zu den Tieren“. Reiten kann man Esel und Co. nicht, denn pro Tier sind nur etwa zwei 15-Kilo-Rucksäcke erlaubt. Man solle sich von der Gelassenheit der Tiere anstecken lassen, zur ultimativen „Ruhe und Gemütlichkeit“ finden, lautet die Heilsbotschaft der Anbieter. Flauschig seien die Tiere auch.
Es ist richtig, dass sich mehr als zwei Drittel von uns mehr Erholung vom Alltagsstress wünscht. Die weltweit größte Studie zum Thema Entspannung – der „Rest Test“ – ergab außerdem: Das Wichtigste beim Entspannen ist uns, alleine zu sein, Kraft in der Stille zu tanken. Die Rufe eines Esels erreichen übrigens mit 80 bis 120 Dezibel locker die Schmerzgrenze. Wozu beim Wandern also ein zusätzlicher Esel? „Das Naturerlebnis mit einem zusätzlichen Erlebnis zu verbinden“ sei der Reiz am Esel-Trekking, erklärt ein Anbieter aus Brandenburg. Das sei „garantiert spannender als Ponyreiten“, verspricht eine Münchner Seite. Offenbar reicht dem modernen multioptionalen Menschen ein Erlebnis allein nicht mehr. Und offenbar haben Hunde und Kinder als Wegbegleiter ausgedient. Wobei ‘spannend’ und ‘interessant’ ja dehnbare Begriffe sind. Die Bezeichnung Esel-Trekking wurde jedenfalls großzügig ausgelegt. Schon von einer Esel Wanderung zu sprechen ist gewagt, denn mehr als Spazierengehen ist mit einem Esel im Schlepptau nicht drin. Zumal auch unklar ist, wer dabei wen führt: Der Esel läuft moderat, aber nur dann, wenn er will. Im Gegensatz zum Pferd, das wir führen, führt der Esel uns. Er führt uns aus wie einen Hund, lässt uns Sitz machen und warten. Die ziemlich häufig gestellte Frage: „Warum will der Esel nicht mehr vorwärts?“, kann sich der französische Nationalverein für Eselwanderungen auch nicht anders erklären als: „Da gibt es immer einen Grund: Fehlt da vielleicht jemand? Ein anderer Esel? Was glitzert denn da so?“ [...]
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